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AutorenbildLabyrinth

Labyrinthgedanke 2024

„Eine neue Welt können wir nur erwarten, wenn wir den Mut haben, sie auf den Grundlagen der Liebe, des Vertrauens und der Gerechtigkeit aufzubauen. (...) Aber ist es nicht etwas ganz Ungeheuerliches, an so etwas zu glauben?“, schreibt Clara Ragaz-Nadig 1915 unter dem Eindruck des ersten Weltkriegs. Ganz in der Nähe des Labyrinths, an der Gartenhofstrasse in Aussersihl, hat sie vor über 100 Jahren an eine friedliche Welt geglaubt und diese aktiv mitgestaltet. Einige ihrer Gedanken lesen sich prophetisch, wie für unsere heutige Zeit: „Wir müssen ringen um etwas Kommendes, um etwas, das noch nicht greifbar und faßbar ist (...). Wir können noch nicht wohlvorgezeichnete Wege weisen, sondern müßen unsere Wege suchen (...); wir könnten nicht einmal versprechen, daß wir nicht auch Umwege und Irrwege machen; nur dessen können wir sicher sein, daß wir uns immer wieder zurechtfinden werden, wenn wir uns von dem einen Gedanken leiten lassen, dem Gedanken an die (...) Verbundenheit aller Menschen.“[1] 

Damals gab es den Labyrinthplatz im Zeughaushof noch nicht, im Gegenteil: Clara Ragaz-Nadig und ihre Freund:innen mussten mitansehen, wie unter dem Kriegsdruck die ansonsten frei zugängliche und als sozialer Treffpunkt rege genutzte Exerzierwiese geschlossen und nur noch militärisch genutzt wurde. 

Heuer jährt sich Clara Ragaz-Nadigs Geburtstag zum 150. Mal. Ihre Gedanken zum Frieden als ständig zu gehender Weg mit seinen möglichen Um- und Irrwegen passen zum Labyrinth. Daher möchten wir dieses Jahr den Labyrinthgedanken an Ragaz-Nadigs Denken anlehnen und das friedliche Miteinander ins Zentrum stellen. 

Das Labyrinth gibt keine Hierarchie vor, hier kann sich niemand über andere erheben, denn es liegt in der Fläche. Das Labyrinth bietet eine Struktur, einen Rahmen und Sicherheit. Als Gehende lassen wir uns auf die wechselnde Orientierung ein. Wir achten auf den sich verändernden Wegesrand und diejenigen, die vor und hinter uns gehen; in den äusseren Umkreisen nehmen wir die Distanz zur Mitte stärker wahr. Befinden wir uns in der Mitte, sehen und spüren wir die Umgebung besser. So ist die Verbundenheit aller Menschen und der Natur etwas, das wir im Labyrinth immer wieder erleben können – und zwar unter sich verändernden Bedingungen. 

Clara Ragaz-Nadigs Friedensgedanken von 1915 sind für uns auf dem Labyrinthplatz heute ganz aktuell. 2023 hat der Kanton Zürich in der Kaserne 300 Asylsuchende untergebracht. Nach einer temporären Schliessung wurde in der Kaserne wieder eine neue Kontakt&Anlaufstelle für Drogen konsumierende Menschen eingerichtet. Und im Zeughaus sind neue Kunst- und Kulturschaffende eingezogen. Möge das Labyrinth diesen und allen anderen Menschen in Zürich ein Begegnungsort sein – ein Ort, an dem sie Ruhe, Inspiration und Anregung finden für ein Zusammenleben in Frieden, Freiheit und gegenseitiger Fürsorge.  

[1] Ragaz-Nadig, Clara: Die Frau und der Friede, 1915, 253; Referat gehalten an der Generalversammlung des Schweizerischen Verbandes für Frauenstimmrecht in Biel; Zitat leicht angepasst.




Im Printprogramm sind Zeichnungen von Pia Valär `Stüdis de la natüra`.

Flechten als Sinnbild einer gesunden Umwelt, der Vernetzung und Symbiose.


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